Regal voller vegetarischer Kochbücher

Aus aktuellem Anlass muss ich heute meine „Confessiones carnem“ um eine schnell erzählte, aber lange andauernde Fleischverzehr-Episode (Bratwurstfett) ergänzen. Und hier nun frisch aus dem Archiv der Text aus 2012/2017/2018/2019:

Ideen für neue Blogbeiträge habe ich viele, ein paar Textskizzen sind in Arbeit, trotzdem habe ich mir nach dem Launch meiner Website und meiner wunderbaren Fortbildung eine digitale Pause gegönnt.

Nun geht’s weiter mit dem Online-Texten! Und zwar mit einem fast unveränderten Text vom Februar 2012, der nicht unmittelbar mit Engagement zu tun hat, an den ich mich aber heute morgen bei der Suche nach veganen Plätzchenrezepten erinnert habe. Stichwort „Content Recycling“.

Ich ernähre mich weiterhin „nur“ vegetarisch. Ich habs 2012 mit dem Veganismus versucht als ich beim Büchertisch überzeugte und überzeugende Veganer*innen kennengelernt hatte. Zum Einstieg meldete ich mich sogar zu veganen Schnupperwochen an, weil ich schon ahnte, dass mir der Verzicht auf Käse schwer fallen würde. Bin aber nicht hingegangen.

Mittlerweile gibt‘s bei vielen Tagungen veganes Catering (allein deswegen schätze ich die openTransfer Camps!), einst gemüsemeidende Schulfreundinnen leben vegan und ich backe vegane Plätzchen, die auf dem Rixdorfer Weihnachtsmarkt zu Gunsten des Berliner Büchertischs verkauft werden.

Ich trinke aber weiterhin Milch im Kaffee, liebe Quarkriegel und ich muss gestehen: Nicht einmal meine persönliche Legende, ich sei bereits seit meinem vierten Lebensjahr konsequente Vegetarierin, entspricht der ganzen Wahrheit.

Nun denn, hier mein Geständnis.

 

Ich gestehe…

Aus aktuellem Anlass (Anmerkung 2017: Eine Freundin, heute auch Nachbarin, hakte damals nach einigen meiner nebulösen schuldbewussten Andeutungen nach, wie es nun wirklich um meinen Fleischverzehr stehe):

Ja, ich gestehe, ich habe durchaus Fleisch verzehrt. Auch jetzt vermeide ich nicht immer Ich verzichte mit einer Ausnahme auf Gelatine, kann mich (2017: nämlich zur Not) an Gummibärchen erfreuen, aber achte kein bisschen (2017: kaum) auf Lab etc. Fleischersatzprodukte finde ich dagegen mit wenigen Ausnahmen genauso unappetitlich wie Fleisch selbst. Vegan kann und will ich mich erst gar nicht ernähren. Eier finde ich zwischenzeitlich abstoßend, dann aber wieder schmackhaft okay. Vor allem, wenn Grüne Soße im Spiel ist. Käse und Milchprodukte möchte ich nicht missen. Und Lederschuhe mag ich auch.

Ich gestehe, zu folgenden Gelegenheiten Fleisch verzehrt zu haben.

Anmerkung 2017: Danach gabs keinen weiteren Zwischenfall, versprochen!

Anmerkung 2018: Doch, heute, am 9. Dezember 2018.

 

Der Anfang

Ich selbst kann mich nicht daran erinnern, meine Mutter sieht dieses Ereignis aber als meinen ersten Versuch an, den Verzehr von Fleisch und Fisch zu boykottieren, und in der Regel gebe ich diese Legende zum Besten, wenn mich jemand fragt, seit wann ich mich vegetarisch ernähre: Mir wurde, als ich etwa drei, vier Jahre alt war, ein Fischstäbchen serviert, das ich „in hohem Bogen ausgespuckt“ (O-Ton Mama Wolf) habe. Danach scheiterten letztendlich jegliche Versuche, mir Fisch und Fleisch schmackhaft zu machen.

 

Kindheit und Jugend

Insbesondere zwei Tanten und natürlich meine Mutter versuchten immer wieder, mich für Fleischgerichte zu interessieren. Fisch wurde mir zum Glück dagegen so gut wie nie aufgedrängt, da dieser bei meiner gesamten Familie zu Recht kein hohes Ansehen genießt. Gerichte, die ich während der Kindheit und zum Teil während der Jugend vereinzelt zu mir genommen habe: Markklößchensuppe  – allerdings nur, bis ich aufgeklärt wurde, um was es sich dabei handelt, Hackfleischbällchen, Frikadellen, Bolognese, Hühnerfrikassee, Putenbrust, Paprikawurst, Hühnerbrühe, Bratwurst. Und ja, einige wenige Hamburger waren auch dabei.

Nachtrag Juli 2019: Seit kurzem liest die Mutter im Blog mit und hat zu ergänzen, was ich längst vergessen hatte: „Lange Zeit hast du auch gern das Bratwurstfett in der Pfanne mit Brotstücken aufgewischt!“

 

Überall (immer)

Eins meiner Laster: An den Fingerkuppen kauen. Mein Vater behauptet immer wieder gerne, dies sei die Kompensation dafür, dass ich ansonsten kein Fleisch esse. Diese These musste ich mir sicher mindestens schon hunderte tausende Male anhören und erläutern lassen, daher sei sie an dieser Stelle zumindest erwähnt.

 

Scarborough (ca. 1991)

AWO-Schülersprachreise nach Scarborough. Während die meisten Schülerinnen und Schüler bei Familien mit Kindern in meinem damaligen Alter untergekommen waren, wohnten meine Schulfreundin Meike und ich bei einem alten Ehepaar mit einer neunjährigen, also für uns wesentlich jüngeren, Enkelin. Sehr uncool, fanden wir. Hinzu kam, dass wir hinsichtlich der Ernährung extrem kurz gehalten wurden. Meike und ich hatten regelmäßig Hunger und kauften uns aus lauter Verzweiflung eine Packung Müsli, aus der wir zwischendurch heimlich aßen. Ab und an gönnten wir uns auch einen Liter Milch dazu und verspeisten das komplette Müsli in Plastiktrinkbechern auf öffentlichen Plätzen. Dass meine Mutter mich als Vegetarierin angemeldet hatte, wurde insofern von den Gastgroßeltern berücksichtigt, als dass mir von vornherein nur Beilagen aufgetischt wurden. Damit hatte ich zwar noch nie Probleme, allerdings darf es dann schon eine Kartoffel mehr als bei den Fleischessern sein, dem war aber in Scarborough nicht so. Eines Tages gab es Fisch. Den Irrtum, dass Vegetarier Fisch äßen, finde ich bei Menschen, die sich damit nicht beschäftigen nicht weiter verwerflich (bei Personen, die sich ausdrücklich und offensiv als Vegetarier_in bezeichnen, dafür um so mehr), in diesem Fall war ich sogar froh. Vor lauter Hunger und weil ich nicht noch mehr vom Taschengeld für Essen ausgeben wollte verzehrte ich den pannierten Fisch. Ich fands widerlich, schluckte aber brav Bissen für Bissen herunter.

 

Mainz (1998)

Hochsommer, über 30 Grad, Mainz, Grundstudium, Umzug vom Studentenwohnheim auf dem Campus zur Ein-Zimmer-Wohnung in der Innenstadt. Es steht also ein Besuch bei Ikea an. Zwei Freundinnen ziehen ebenfalls um, eine weitere findet immer was, eine vierte verweigert sich ausdrücklich dem Konsum, kommt aber aus Geselligkeit trotzdem mit und belehrt. Wir fahren zu fünft mit dem Bus nach Wiesbaden, um uns mit Kleinmöbeln und weiteren sehr nützlichen Dingen einzudecken. Mehrfaches Umsteigen ist notwendig. Ich trage einen Sarong. Wir müssen rennen, um den Anschlussbus rechtzeitig zu erreichen. Ich trage keinen Sarong. Der Knoten hat sich gelöst. Immerhin, der Busfahrer wartet nun lachend auf uns. Dann der Rundgang durch die Möbelausstellung und die Markthalle. Wie immer wechseln sich kindliche Begeisterung über bunte Gläser ab mit Kritteln am Möbelanbieter und dem Bedauern, dass viele Wohnungen durch ihn so gleichgeschaltet aussähen. Aber schön sind die Gläser halt doch und selbst die Konsumkritischste trägt eine erstaunlich volle gelbe Tragetasche mit sich herum. Nachdem die Kassen überstanden sind, sind wir einem  Kreislaufzusammenbruch nahe. Gemeinsamer Entschluss: Bevor wir unsere Einkäufe in tragbare Einheiten verpacken, um diese in der Sommerhitze von Bus zu Bus zu schleppen: Hot-Dog-Pause. Ich mäkle kurz herum, dass es ja nichts Vegetarisches gäbe; das Argument, dass die Hot-Dog-Wurst doch eh nicht nach Fleisch schmecke, klingt beim Ansehen derselben nachvollziehbar, also greife auch ich zu. Und in der Tat: Es schmeckt nach Ketchup, Senf, Gurken und Sägespänen.

(Genau dies hat sich ein weiteres Mal mit etwas anderer Besetzung noch einmal in Berlin abgespielt, im Winter und ganz ohne Sarong.)

 

Sizilien (1999)

Sizilien, Urlaub mit Freundinnen. Wir werden zwei jungen Männern anvertraut, die uns während der zwei kommenden Wochen unterhalten und begleiten sollen. Wenig begeistert über diese Konstellation entsprechen wir auch nicht den Erwartungen der Jungs. Letztendlich wird sich der Urlaub aber als einer der amüsantesten und schönsten erweisen und wir haben die Gelegenheit, an großen italienischen Familienessen teilzunehmen. Einmal gibt es Muscheln zur Vorspeise. Einer unserer Begleiter erzählt uns aufgeregt eine lange Geschichte dazu, die wir allerdings nicht verstehen. Am Ende wiederholt  er mit Blick auf unsere unverständigen Gesichter immer wieder sehr ernsthaft ein Wort, das sich später als „Aphrodisika“ herausstellt. Unterdrückte Lachkrämpfe darüber folgen unsererseits und werden den gesamten Urlaub über nicht mehr aufhören. Die Atmosphäre am Tisch ist aber so fröhlich und freundlich, es gibt viel Wein, so dass selbst ich ein winziges Muschelchen probiere. Unspektakulär.

 

Kreuzberg I (2002)

Berlin, Karneval der Kulturen. Feierstimmung unter Freunden, ein kochbegabter Bekannter lädt zum Essen ein. Es gibt Fisch. Es sieht aus, als ob es allen sehr gut schmeckt. Viel Lob wird ausgesprochen. Allein der Reis ist langweilig, eine Freundin überredet mich zu probieren. Und der kochbegabte Bekannte ist ja auch so nett. Also teile ich mir mit einer Gabel ein Stückchen Fisch ab – ein Gedicht!

 

Kreuzberg II (2003)

Frau S. (103), meine Lieblingsklientin bei meinem damaligen Nebenjob in der mobilen Tagespflege, gönnt sich jeden Sonntag zum Mittagessen Braten, Rotkohl und Kartoffeln. Eines Tages freut sich Frau S. schon morgens um sieben  Uhr beim Öffnen der Tür über den Wildbraten, den ihr Neffe ihr zu Weihnachten besorgt hat und deren Reste sie an diesem Sonntag zu verspeisen plant.  Der Morgeneinsatz wie immer: Kaffee mahlen und kochen, Brote schmieren, antikes Bettsofa aufräumen und zusammenklappen, Kartoffeln schälen etc. Für mich folgt ein recht anstrengender Frühdienst bei frostigen Temperaturen, mit rutschigen Straßen, eingefrorenen Radbremsen, ohne Zeit für eine Pause. Dann mit knurrendem Magen zum Mittagstermin bei Frau S. Wie immer hat sie die vorgeschälten Kartoffeln bereits aufgesetzt und fuhrwerkt in ihrer kleinen Küche herum. Ich bin dafür zuständig, den Rotkohl aufzuwärmen und den Tisch zu decken. Das Fleisch fällt nicht (wie bei der Hauptpflegerin) in meinen Aufgabenbereich, da ich zum Entsetzen der Frau S. keine Mehlschwitze und damit Bratensoße zubereiten kann. Ich leiste Frau S. beim Mittagessen etwas Gesellschaft, zum einen weil sie ungern alleine isst, zum anderen weil ich nicht gleich wieder in die Eiseskälte hinaus will. Sie überredet mich, den Sonntagsbraten zu probieren. Nach einigem Hin und Her schafft sie es. Ich bin hungrig und wer kann schon einer 103-jährigen Rathenower Schneiderin widerstehen? Während ich das Fleisch so schnell wie möglich herunterschlucke, tut sie erneut ihre Freude über den Braten kund:

„So zart, das muss ein ganz junges Rehkitz gewesen sein!“

 

Bangkok (2004)

Familienurlaub mit Vater und dessen Frau Preemol in Thailand. Einladung zum Essen bei Preemols Mutter (85). Wohlwissend erinnere ich weit im Voraus daran, dass ich kein Fleisch und schon gar keinen Fisch esse und es schön wäre, auf der voraussichtlich großen Tafel zumindest ein rein vegetarisches Gericht  zu finden. Alles kein Problem, das sei schon längst bedacht, hieß es. Wir sitzen ein paar Tage später um den Tisch zusammen. Wie erwartet, ein großes Aufgebot an verschiedenen Speisen. Sieht alles köstlich aus, aber ich erfasse schnell, dass kein einziges Gericht vegetarisch zubereitet ist. Bin etwas missmutig, da wir im Vorfeld darüber gesprochen hatten. Ein schlichter Eierreis würde es ja tun. Ich beschwere mich aus Höflichkeit gegenüber der alten Frau nicht, sondern halte mich an die Obstplatte. Mein Missmut ist mir offensichtlich anzusehen, denn es folgt auf einmal größte Überraschung und  Aufregung, dass das „Kind“ ein Problem mit dem Essen habe. Auf einmal stellt Preemol eine Schüssel mit einem Reisgericht vor mich, das mir zunächst nicht aufgefallen war. Ich piekse ein orangenes Stückchen an und frage skeptisch, um was es sich dabei handele. Preemol und ihre Mutter reden in Thai und Deutsch aufgeregt auf mich ein, Preemol übersetzt nach einiger Zeit, es handele sich um Thailändische Karotten. Ich zweifle, nage trotzdem daran und ja, es handelt sich von der Konsistenz und vom Geschmack her keinesfalls um Fleisch oder Fisch und ich glaube langsam tatsächlich, dass es sich um ein mir nicht bekanntes Gemüse handelt, das zwar nicht sonderlich gut schmeckt, aber auch nicht aussortiert werden muss. Möhren sind es auf keinen Fall, aber das schiebe ich auf einen Übersetzungsfehler. Sofort nachdem die Schüssel abgeräumt ist, verkündet Preemol stolz:

„Das war Krebsfleisch, lecker, oder?“

 

Altglienecke (2018)

Im Sommer 2017 durfte ich Wassan und ihre Familie kennenlernen. Drei Jahre musste sie mit ihren beiden Söhnen, mittlerweile 11 und 14 Jahre alt, in einem Zimmer in Gemeinschaftsunterkünften leben, eine große Belastung für alle drei. Nun endlich, im November, hat Wassan eine Wohnung gefunden. Im Dezember lud sie mich ein, ihre neue Wohnung mit ihr und ihrer Familie zu feiern. Die Freude darüber war auch bei mir groß. Meine Laune auf dem Weg dorthin sank ob der ausgrenzenden Lage der neuen Wohnung aber von Minute zu Minute. Der Weg zeichnete sich durch düstere Tristesse aus. Es nieselte, der Bus hielt direkt an der Autobahnauffahrt, dann führten 15 Minuten Fußweg unter der Autobahnbrücke hindurch, über triste Parkanlagen, an vergitterten Schulen und der heruntergekommenen „Kita Sonnenschein“ vorbei zu einem grauen Wohnblock einer Plattenbausiedlung, dem Kosmosviertel. In der zweiten Etage angekommen, empfing mich Wassan dann aber so glücklich in einer hellen, durchaus freundlichen und geräumigen Wohnung, dass ich mich wieder mit ihr freuen konnte. Gastfreundlich hatte sie fünf arabische Gerichte aufgetischt, deren Namen ich mir leider außer „gefüllte Weinblätter“ nicht merken konnte. Mindestens zwei waren ganz offensichtlich mit Fleisch zubereitet. Ich brachte es aber nicht übers Herz, eine Zutatenliste zu erfragen, nur beim Salat zu bleiben und probierte alle fünf. Allein die Freude darüber, dass Wassan und ihre Familie nun einen Schritt mehr in Berlin angekommen sind, machte alles zusammen zu einem köstlichen Mahl!

Confessiones carnem
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