„Ich hab‘ jetzt einen Kleingarten, das ist das neue Tanzen“, erzählte neulich ein Teilnehmer bei meiner Weiterbildung zur Gartenfachberaterin. So ganz frei kann ich mich davon auch nicht machen. Ich bin zwar weit entfernt vom eigenen Kleingarten, aber seit einigen Jahren hat es mir das Gärtnern auf dem Balkon, seit letztem Jahr im Nachbarschaftsgarten und ab Mai diesen Jahres auf einem Ackerstück in Großziethen sehr angetan.

„Gartenfachberater – Dienstleister in Sachen Grün“ beraten andere Gartenfreund*innen (wie sich die Kleingärtner*innen konsequent selbst bezeichnen), schlichten Streitereien am Gartenzaun oder kontrollieren bei Gartenbegehungen, ob sich die Mitglieder der Kleingartenkolonie an die Gartenordnung halten. Als unbedarfte Nachbarschaftsgärtnerin war ich überrascht und froh zugleich, dass auch Nicht-Mitglieder an der Weiterbildung des Landesverbandes der Berliner Gartenfreunde teilnehmen dürfen, und meldete mich sofort an, als ich dank einer vertrockneten Büropflanze davon erfahren hatte.

 

Anfängliche Zweifel

Ein knappes halbes Jahr später, kurz vor Kursbeginn erhielt ich das detaillierte Programm samt Schulungsunterlagen und begann an meiner Entscheidung zu zweifeln. Spannende Inhalte – das zweifellos, aber drei Tage Frontalunterricht, Präsentationen mit insgesamt über 500 Folien und kaum praktischen Übungen ließen meine Begeisterung schwinden. Umso mehr, als ich feststellen musste, dass nur der erste Tag der Fortbildung im Pflanzenschutzamt in Britz, also bei mir um die Ecke, angeboten und am Wochenende Fahrten bis ans andere Ende der Stadt nach Ruhleben nötig sein würden.

 

Ein Tag im Pflanzenschutzamt

Tag eins fand aber zunächst im Hörsaal des Pflanzenschutzamtes statt. Das sehenswerte Gebäude ist einem Insekt nachgebildet, die verglasten Innenhöfe entsprechen Facettenaugen, der Hörsaal einem Gehirn. Von oben ist das tatsächlich recht gut zu erkennen.

Sieben Stunden lang Vorträge rund um die Rechtsgrundlagen für den Pflanzenschutz, Bilder von Viren, Bakterien, Pilzen und Insekten und ein zwanzigminütiger Film über die Blattlaus klingen nicht nach dem interessantesten Teil der Weiterbildung. Jedoch, es war ganz großartig mit welcher Begeisterung, Ausdauer und vor allem auch Humor die Mitarbeiter*innen über den „nationalen Aktionsplan zur nachhaltigen Anwendung von Pestiziden“ und der „sektorspezifischen Leitlinie zum integrierten Pflanzenschutz im Haus- und Kleingartenbereich“ referierten, im Labor unterm Mikroskop die Mundstachel von Nematoden zeigten und Ausschnitte aus dem Film „Mord im Apfelbaum“ von Urs Wyss kommentierten.

Zwischendurch übten die Auszubildenden des Pflanzenschutzamtes das Giftspritzen mit uns (von dem das Pflanzenschutzamt für Klein- und Hausgarten aber erfreulich oft deutlich abgeraten hat) und wir durften die lebenden Alternativen, Marienkäfer, Florfliegen und Blattlauslöwen, beobachten. Einen eigenen Newsletter für den Freizeitgarten, den Berliner Gartenbrief, gibt es übrigens auch.

Recht und Gesetz im Garten

Bundeskleingartengesetz, Naturschutzgesetz, Bodenschutzgesetz, Abfallgesetz, Wasserschutzrecht, Pflanzenschutzrecht, Berliner Verwaltungsvorschriften, Gartenordnung: Der zweite Tag startete mit weitaus mehr Regeln, die es im Kleingarten zu beachten gilt, als ich bereits erwartet hatte. Durchaus beabsichtigt kam ich also etwas zu spät in den Räumen des Landesverbandes der Berliner Gartenfreunde in Spandau an, versäumte aber dennoch nicht Vorschriften wie die 1/3-Regel (1/3 Gartenbauerzeugnisse: Obst, Gemüse, Kräuter, 1/3 Ziergarten: Ziergehölze, Rabatten, Rasen, 1/3 Erholung: Laube, Sitzplätze) oder die 10%-Gemüsebeetpflicht.

 

Baumschnitt ohne Ende

Für meinen Geschmack deutlich zu viel waren die 107 Folien zum Obstbaumschnitt. Die anderen Gartenfreund*innen waren allerdings höchstinteressiert, fragten immer wieder neu nach, während ich bei jeder Atempause des Referenten das nächste Thema herbeisehnte. Sie schnauften entrüstet oder riefen begeistert „Wow!“, je nachdem, was für ein Ast gerade präsentiert wurde. Nach zwei Stunden gabs endlich eine Mittagspause mit einer hervorragenden Pastinakensuppe, die die Pastinake in meinem Gemüse-Ranking von ihrem unteren Rang ein paar Plätze nach oben schnellen ließ. Vielleicht behalte ich die Pastinakenernte vom Acker also doch selbst.

Nach der Pause ging es weiter mit … Baumschnitt. Diesmal allerdings zum Glück im Freien. Der Landesgartenberater schnitt beherzt zu und tröstete die entsetzten Teilnehmer*innen mit: „Das ist wie Haareschneiden für die Pflanzen.“

 

Bodenkunde und Düngung

Angekündigt als etwas „trockene Materie“ war die nächste Lerneinheit für mich weitaus spannender als der gefühlt dreistündige Vortrag über die Tücken des Obstbaumschnitts. Bodenproben nehmen, pH-Wert bestimmen: Wäre das Inhalt des Schulunterrichts gewesen, hätte ich Chemie nicht sofort bei der ersten Möglichkeit abgewählt. Es sei denn, es handelt sich dabei doch um Biologie, nicht um Chemie. Wer weiß das schon genau.

Typische Kleingärter*innen?

In den Pausen kam es hier und da zu Gesprächen mit den anderen Kursteilnehmer*innen. Einige pachten seit Jahrzehnten ihre Gärten. Ihnen schien vor allem die Prüfung wichtig zu sein, um danach die Gartenfachberatung in ihrer Kolonie übernehmen zu können und damit auch ganz offiziell etwas besser als ihre Gartennachbar*innen zu wissen. Andere haben gerade erst ihren Garten übernommen und wollten eine Übersicht über alles rund um den Kleingarten gewinnen. Dabei waren zum Beispiel

  • eine Gartenfreundin aus Reinickendorf, deren ganzer Stolz ihr oft erwähnter Pfirsichbaum ist
  • ein junger Mann aus Charlottenburg, der seine Kakteensammlung in einem Gewächshaus unterbringen möchte
  • ein Tomatenfan aus Zehlendorf, der sympathisch-wertfrei verschiedene Geschmäcker der Gartengestaltung gelten lässt
  • eine vielseitige Schönebergerin, die sowohl im Gemeinschaftsgarten als auch im Kleingarten unterwegs ist und in Spandau ein Gartenprojekt mit Geflüchteten plant
  • eine Mutter aus Französisch-Buchholz, die vor allem die gemeinsame Zeit mit der Familie im Garten schätzt
  • eine Wilmersdorferin, die viel, viel, viel, viel, viel, viel fragt und auch sonst viel mitzuteilen hat
  • ein kooperativer Neuköllner, der gern Vorurteile überwinden und seinen Vorstand überzeugen möchte, mit Nachbarschaftsgärten zusammenzuarbeiten**
  • eine Lehrerin aus Schöneberg, die mit der Vereinsmeierei nicht viel zu tun haben möchte, aber gerne dazulernt

 

Zierpflanzen

Am Sonntag ging es endlich um die Themen, auf die ich mich am meisten gefreut hatte: Zierpflanzen, Gemüse- und Kräuteranbau, Gartengestaltung, Pflanzenempfehlung und Naturschutz. Es ging also um Zwiebeln, Knollen, Sommerblumen, Stauden und Rosen. Was wächst im Schatten? Was braucht viel Sonne? Wie schneidet man Stauden? Tipps für Ausflüge gab es auch, zum Beispiel lohne sich ein Besuch in den Rosengärten in Forst und in Sangerhausen oder im Rhododendronpark in Bremen.

 

Gemüse

Was ist Gemüse? Die Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten. Die Definition der Dozentin lautete: „Alle nicht zum Obst oder zum Getreide zählenden Nahrungspflanzen aus gärtnerischem oder landwirtschaftlichem Anbau – gleichgültig ob Blätter, Knospen, Wurzeln, Knollen, Zwiebeln, Stängel, Sprosse, Blüten, Früchte, Samen oder auch Pilze –, welche ganz und ohne Entzug wesentlicher Bestandteile entweder roh, gekocht, konserviert oder sonst wie zubereitet, der menschlichen Ernährung dienen.“ Jedoch: Botanisch gesehen sind Pilze keine Pflanzen, also ja dann auch kein Gemüse. Kartoffeln werden als landwirtschaftliche Erzeugnisse und nicht als Gemüse eingestuft. Rhabarber gilt vielen als Obst, ist aber Gemüse. Erdbeeren sind Nüsse. Wie auch immer, das mit Abstand beliebteste Gemüse ist die Tomate, ein Fruchtgemüse. Ausprobieren sollte man aber viel mehr als Tomaten, Gurken und Eisbergsalat. Zum Beispiel das Eiskraut, das auch gut für die recht komplizierte Fruchtfolge, die man besser beachten sollte, ist. Tolle Tipps gabs außerdem zu Bezugsquellen von Saatgut alter Sorten. Nächstes Jahr wird der Anbau im Nachbarschaftsgarten also besonders vielfältig!

Gartengestaltung

Nach der Mittagspause (Chili con Carne, Gemüsesuppe mit Hackfleisch oder auch: zwei trockene Brötchen) fiel es nach fast 20 Stunden Frontalunterricht trotz der interessanten Inhalte schwer, dem Vortrag konzentriert zu folgen. Es gab eine hilfreiche Checkliste fürs Gestalten eines Gartens, genau die richtigen Tipps fürs Hochbeet, Anregungen für das Anlegen von Wegen und Sitzplätzen und Empfehlungen für Pflanzen. Dank der umfangreichen Schulungsunterlagen lässt sich das alles auch noch einmal nachlesen.

 

Naturschutz im Kleingarten

In den letzten beiden Stunden kam mit einem Dozenten vom wunderbaren Freilandlabor Britz wieder etwas Leben in die Veranstaltung. Anschaulich und schön bebildert ging es um schonende Bodenbearbeitung, organische Düngemittel, Gründüngung, biologischen Pflanzenschutz, Wildpflanzen („In jeden Garten gehört eine Brennessel!“), standortgerechte Bepflanzung und Schaffung von Lebensräumen für die heimische Tier- und Pflanzenwelt wie Gartenteich, Trockenmauer, Totholzhaufen und Nisthilfen.

Auch wenn ich mir die Prüfung zur Gartenfachberaterin erspare:

Insgesamt eine tolle Weiterbildung, ich habe viel gelernt und freue mich noch viel mehr auf die nächste Gartensaison!

 

 

*Gruß der Kleingärtner*innen, sagt das Internet

** gestaltet sich  aufgrund der gegenseitigen Vorurteile („Alles Spießer!“ vs. „Die haben doch gar keine Ahnung!“) schwierig

Gut grün!*

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