„Wir toben durch den Garten, wir streiten uns, wir feiern, denn wir sind 8 Jahre und wir sind 84 Jahre — und dazwischen gibt es auch noch ein paar. Klar sind wir Frauen. Sind wir auch gerne. Wir sind offen für Begegnungen. Wir lieben auch Männer. Und Schildkröten. (…) Manchmal ist es schön, manchmal ist es nervig. Manchmal ist es völlig normal — wie das Leben so ist.“
So beschreiben sich die Frauen des Vereins „Offensiven Alterns“ in der Siedlung Ortolanweg.
Um mehr zu erfahren, besuchte ich neulich Maike, Mitglied der AG Öffentlichkeitsarbeit des Wohnprojekts, das mehrere Frauengenerationen zusammenbringt. Die 24 Wohnungen des L-förmigen Neubaus sind das Zuhause von alleinerziehenden Müttern und ihren Kindern, Regenbogenfamilien, älteren Frauen und einer Wohngemeinschaft. Männer sind als Besucher willkommen, dürfen aber nicht einziehen.
Alle Generationen unter einem Dach
Nach einer Tour durch ihre gemütliche Wohnung erzählt Maike bei Tee und Plätzchen vom Wohnen allein unter Frauen. Während mir Katze Momo um die Beine streicht, berichtet Maike, wie positiv sich das gemeinschaftliche Wohnen auswirkt. Nachbarinnenkinder wachsen wie Geschwister miteinander auf. Ist eine Bewohnerin krank, kümmert sich die Nachbarin um den Nachwuchs oder bringt Hühnersuppe vorbei. Kommt eine Mieterin aus dem Urlaub zurück, kann sie mal eben eine andere bitten, vor ihrer Ankunft schnell noch eine Tüte frische Milch in den Kühlschrank zu stellen. Manche Frauen treffen sich abwechselnd in ihren Wohnungen und kochen zusammen.
Gemeinschaftsräume: Essen, Malen, Yoga
Beim Rundgang durch die Gemeinschaftsräume fällt als erstes der Fahrstuhl auf: Im Gegensatz zu den meisten anderen Häusern der Siedlung gibt es hier einen Aufzug. Der ist beim generationenübergreifenden Wohnen überaus praktisch für Kinderwagen und Rollatoren. Selbst Katze Momo lässt sich damit hoch und runter kutschieren. Über einen verglasten Gang geht es an Fahrrädern und einem Buchregal für Alle vorbei zum Gemeinschaftsraum.
Geräumig ist er, zweistöckig sogar, und eine Küche gehört dazu. In der Ecke steht ein — leider verstimmtes — weißes Klavier. Im Kellergang, der sich dem Saal anschließt, steht ein Verschenkregal, er führt weiter zu einem Yoga-Raum und endet vor einer farbenfroh gestalteten Tür, die in den nächsten Gebäudeteil führt.
Zurück zum Gemeinschaftsraum: Jeden Mittwoch trifft sich hier um 11 Uhr die Malgruppe des Hauses. Einige der dabei entstandenen Kunstwerke konnten am Cocktail-Stand, den die Frauen beim Siedlungsfest organisiert hatten, bewundert werden. Andere hängen an den Wänden des Gemeinschaftsraumes. Dort findet außerdem ab und an ein Filmabend statt. Einmal im Monat treffen sich die Frauen zum Plenum. Wichtig ist ihnen, davor gemeinsam zu essen: um nicht mit leerem Magen in die Besprechung zu kommen, um nach einem stressigen Tag herunterzukommen und vor allem um gedanklich anzukommen.
Im Sommer bietet ein großer Garten samt Teich und Spielgeräten Platz zum Feiern und Gärtnern.
Auch wenn es manchmal hakt: „Menschen wollen Gesellschaft!“
Neben den vielen Vorteilen gibt es wie überall, wo Menschen aufeinander treffen, auch beim „Offensiven Altern“ ein paar Haken. Einer davon ist ein rein architektonischer. Anders als in den Atriumhäusern des „Kommunikativen Wohnens“ gibt es keine zentrale Eingangshalle, sondern mehrere Zugänge von zwei verschiedenen Straßen und sogar zwei Postleitzahlen. Das entspricht nicht ganz dem Gemeinschaftsgedanken und hat durchaus Wirkung. Außerdem schlafen auch hier mal gemeinsame Aktivitäten ein und die Genossenschaft vermietet lieber schnell freien Wohnraum, statt den Bewohnerinnen Zeit zu geben, selbst neue Mieterinnen zu finden, die nicht nur eine Wohnung, sondern auch das gemeinschaftliche Drumherum suchen. So gab es schon Jahre, in denen eher nebeneinander als miteinander gewohnt wurde. Auf jeden Fall braucht es Aktive, die immer wieder gemeinsame Aktionen anstoßen und Gemeinschaft leben (wollen). Insgesamt geht das Wohnprojekt „Offensives Altern“ aber für Maike auf, denn „Menschen wollen Gesellschaft!“
Bei der Verabschiedung treffen wir vor der Tür auf Kater Johnny Boy. Er darf hier wie seine Mutter Momo ein- und ausgehen. Trotz männlichen Geschlechts!
Ein bisschen Geschichte
Der Verein „Offensives Altern“ wurde 1977 gegründet. Hauptanliegen der Frauen war als Alternative zur traditionellen Familienstruktur ein Frauenalltag, bei dem junge und alte Frauen gemeinsam wohnen und sich gegenseitig unerstützen. Allerdings erst über zwanzig Jahre später, im Mai 1999, konnten nach einem langen und mühseligen Prozedere* die ersten Frauen in das Haus einziehen, das die Wohnungsbaugenossenschaft 1892 für das Wohnprojekt gebaut hat.
*Nachzulesen zum Beispiel im taz-Archiv hier, hier und hier.
Zum Weiterlesen
Über das „Offensive Altern“ wurde insbesondere in früheren Jahren schon oft berichtet:
- Mal in einer Projektbeschreibung auf dem Portal frauenwohnprojekte.de als „intergeneratives Projekt mit dem Ziel der Schaffung einer anderen Realität älterer Frauen, mit starker Außenorientierung“,
- mal als Exkursionsbericht (2012) von Besucherinnen aus dem Pankower Frauenzentrum Paula Panke e.V.,
- mal als Praxisbeispiel einer Diplomarbeit (2005) über gemeinschaftliches generationenübergreifendes Wohnen
- und mal in Zeitungsartikeln wie z.B. in der Berliner Zeitung (1999).
- 2001 wurde sogar ein 23-minütiger Dokumentarfilm über das Projekt gedreht – mit lobender Erwähnung beim Deutschen Generationenfilmpreis.